Veröffentlicht: Dezember 2010, Autor: Uwe Langer

Warum man die Revolution nicht verteidigen kann, ohne Stalin zu verteidigen

Bis heute tun sich nicht wenige Kommunisten mit dem "Thema Stalin" schwer, würden es am liebsten meiden, oder, wenn sie seine Person denn doch einmal würdigen (selten genug im Zusammenhang mit dem Aufbau der UdSSR, meist nur im Zusammenhang mit dem Sieg über den Faschismus), dann fast immer mit dem Verweis, daß man natürlich auch über die "Ungerechtigkeiten", "Repressalien" oder gar "Verbrechen" reden müsse.

Hier wirken insbesondere zwei Dinge seit Jahrzehnten negativ in die kommunistische Bewegung hinein. Um den revisionistischen Kräften in der KPdSU zum Durchbruch zu verhelfen, mußte Stalin politisch und moralisch zerstört werden. Diesem Ziel diente die durch und durch verlogene Hetzrede Chruschtschows auf dem 20.Parteitag 1956, die so "geheim" war, daß die Imperialisten sie schon kannten, noch bevor sie die Parteitagsteilnehmer hörten. Chruschtschow und die Revisionisten haben damit nicht nur Stalin in den Schmutz getreten, sie haben damit nicht nur das Tor geöffnet, durch das die Konterrevolution wenige Jahrzehnte später ungehindert marschieren konnte. Sie haben damit schändlicherweise die KPdSU selbst zum Kronzeugen der Anklage gegen den Sozialismus gemacht, bis heute nutzen das die Ideologen des Imperialismus geradezu mit Freude aus.
Die Wirkung war um so verheerender, weil Stalin in der KPdSU und in einer Vielzahl von kommunistischen Parteien (letztlich auch in der SED) zu persona non grata wurde. So überließ man dem Imperialismus geradezu ein Monopol an der politischen "Bewertung" der Person Stalins und des "stalinistischen Sozialismus". Die Folge ist, daß selbst ehrliche Kommunisten, die in anderen Fragen gewiß keine revisionistischen Positionen vertreten, bis heute zu Stalin falsche Positionen vertreten, die ihnen teils von ihren eigenen Parteien eingeflößt wurden, die teils auf Unkenntnis der Tatsachen beruhen und die teils auch eine Wirkung des antistalinistischen Trommelfeuers der bürgerlichen Medien ist bei gleichzeitig weit verbreiteten Schweigen der kommunistischen Medien.

Es gibt eine interessante Parallele zur französischen Revolution von 1789. Daran wurde ich kürzlich wieder erinnert bei einer "Dokumentation" über die französische Revolution und die Rolle von Robespierre. Der Verteidiger der Revolution wurde dort als möglicherweise "irre" gewordener "Schlächter" verunglimpft. Nun, erinnern wir daran, daß die französische Revolution zunächst recht unblutig verlief und daß es die innere und äußere Konterrevolution war, die dann mit Terror und Krieg die Revolution zu ersticken drohte. Ja, stimmt, auf der Guillotine landeten gewiß auch Menschen, die sich gegenüber der Revolution nicht schuldig gemacht hatten, aber war die Verteidigung der Revolution deshalb ein Verbrechen? In den Augen der bürgerlichen Geschichtsschreiber ja. Denn im Gegensatz zu den Arbeitenden, zu den Bauern, die sich von der Revolution ihre Befreiung erhofften, setzte das Bürgertum, insbesondere das Großbürgertum, recht bald auf einen Ausgleich, einen Kompromiß mit dem Adel. Man könne sich gut mit ihm arrangieren, wenn der ihnen nur ihre kapitalistische Freiheit ließe. Deshalb mußte der Verteidiger der Revolution Robespierre zerstört werden. Der "Rest" ist bekannt. Die Wandlung vom "Bürger Bonaparte" zum "Kaiser Napoleon" ist das Spiegelbild der Wandlung in der französischen Revolution und des Weges in die Niederlage, der mit der jahrzehntelangen Restauration des Feudalismus endete (bis zu den nachfolgenden bürgerlichen Revolutionen, Geschichte läßt sich eben auf Dauer nicht aufhalten).
Daß der bürgerlichen Ideologie ein Napoleon lieber ist als ein Robespierre, ist verständlich. Man verübelt dem Revolutionär das Blut der Konterrevolutionäre, das er vergießen ließ und übersieht das Meer von Blut, das Napoleons Kriege forderte.
 
Ebenso verständlich ist der Haß des Kapitalismus auf Stalin, so wie die Milde gegenüber Chruschtschow. Hat letzterer doch mit seiner Hunnenrede wider Stalin den bürgerlichen Ideologen eine unschätzbare Waffe gegen den Kommunismus in die Hände gegeben.

Der Antistalinismus ist nichts anderes als ein zentraler Kampfbegriff, ein wesentliches Instrument des Antikommunismus. Die revisionistisch-reformisti- schen Verfälscher der kommunistischen Weltanschauung benutzen und brauchen ihn als Rechtfertigung ihres Verrats am Marxismus-Leninismus, die bürgerlichen Ideologen des herrschenden Kapitals brauchen ihn als Schreckgespenst, um den werktätigen Massen Furcht vor den angeblichen Schrecken des Sozialismus einzuflößen. Nichts zeigt so deutlich wie die gemeinsame Verwendung des Antistalinismus durch die Revisionisten, Reformisten, Opportunisten, Trotzkisten und ähnlicher Strömungen in der Arbeiterbewegung einerseits und durch die antikommunistische Propaganda der Imperialisten andererseits, daß die Abkehr von den marxistischen-leninistischen Grundlagen der kommunistischen Bewegung und die "Entstalinisierung" ehemals kommunistischer Parteien direkt in das Lager des Klassenfeindes führte und führt. Die Geschichte hat den konkreten Beweis dafür geliefert, daß der Revisionismus eben nicht zu einem "besseren Sozialismus" führte, sondern im Gegenteil zu seiner Zerstörung. Die sozialistische Sowjetunion war stark und unbesiegbar, solange ihre führende Partei unter Lenin und Stalin ihre Politik nach dem Kompaß des Marxismus-Leninismus ausrichtete. Trotz schwierigster Ausgangsbedingungen konnte die sozialistische Revolution nach 1917 gegen die vom internationalen Imperialismus umfassend unterstützte Konterrevolution verteidigt werden. Die ökonomischen Erfolge bei nachfolgen- den Aufbau der Sowjetunion stellten unter Beweis, daß eine völlig neue Ökonomie, die auf dem Volkseigentum beruhte und frei von Ausbeutung war, nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis erfolgreich funktionierte. Die Sowjetunion widerstand unter Führung der kommunistischen Partei mit Stalin an der Spitze dem Angriff des deutschen Faschismus. Obwohl die UdSSR am schwersten an den Folgen des Krieges zu tragen hatte, während in den USA im Laufe des Krieges keine einzige Bombe fiel, gelang es der Sowjetunion das US-amerikanische Atomwaffenmonopol zu brechen und damit den Imperialismus daran zu hindern, die Welt atomar zu erpressen oder gar in ein atomares Inferno zu stürzen.
Mit der Abkehr von Stalins Politik, der getreulich den Prinzipien des Marxismus- Leninismus folgte, durch eine revisionistisch-voluntaristische Politik wurde das Stalinsche Erbe erfolgreicher Ökonomie und Politik verschleudert und eine zunehmende Lähmung der Triebkräfte des Sozialismus verursacht. Dem Imperia- lismus gelang es dadurch, die historische Initiative zurückzugewinnen und auf ökonomischem Gebiet einen Vorsprung gegenüber den sozialistischen Staaten, insbesondere in der Arbeitsproduktivität, auszubauen. Damit konnte der Imperialismus nicht nur seine ökonomische Macht zu stärken, sondern auch seinen eigenen Machtbereich innenpolitisch zu stabilisieren und den Sozialismus gegenüber großen Teilen der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Staaten als ökonomisch ineffizient darstellen und nicht zuletzt dank der ideologischen Schützenhilfe der "Entstalinisierer" als "unmenschlich" zu diffamieren.

Es ist an der Zeit, die Ängstlichkeit in der Diskussion um Stalin zu beenden. Natürlich muß man über alle Fragen reden. Aber so, wie die französische Revo- lution nicht trotz Robespierre, sondern dank Robespierre und der französischen Revolutionäre zu einem weltverändernden historischen Ereignisses wurde, so ist der Aufbau der Sowjetunion nicht trotz Stalin, sondern dank Stalin und der sowjetischen Revolutionäre zu einem großen geschichtlichen Ereignis geworden, das es erstmals ermöglichte, eine Gesellschaft ohne Ausbeutung zu errichten.
Beide Revolutionen spiegeln in ihrem Verlauf und in den handelnden Personen den Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution wider. Der Unterschied besteht nur in der historischen Ebene und den dabei handelnden Klassen. Die Lehren daraus sind freilich durchaus gleich. Es ist die Konterrevolution, die Gewalt mit allen Mitteln vom Zaune bricht und daß sich die Revolution dagegen wehren muß. Sobald die Revolution aufhört, sich zu verteidigen, ist sie zum Untergang verurteilt. Die Verräter an der Revolution entschuldigen sich dabei stets selbst, indem sie alle Schuld der Revolution und ihren Verteidigern zuschieben. Sie bemänteln ihre eigene Unmoral, indem sie die Revolutionäre unmoralisch nennen, sie verdecken ihre Verbrechen, indem sie die Verteidiger der Revolution Verbrechen bezichtigen. Sie ersticken die Wahrheit unter einen Berg von Lügen. Und doch sind letztlich all ihre verräterischen Mühen umsonst.
So wie im 19. Jahrhundert neue bürgerliche Revolutionen die feudalen Restauratoren wie Metternich hinwegfegten, werden neue sozialistische Revolutionen nicht nur die Restauration des Kapitalismus nach 1989/90 beenden, sondern wird auch das Lügengebäude über den Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion und Stalin zusammenbrechen.

Antistalinismus und Revisionismus sind zwei Seiten derselben Medaille. Man kann den Revisionismus nicht bekämpfen, ohne den Antistalinismus zu bekämpfen. Man kann die Revolution nicht verteidigen, ohne Stalin zu verteidigen. Es gibt keinen Marxismus-Leninismus ohne Stalin. Eine kommunisti- sche Partei, die die Geschichte der kommunistischen Bewegung, die Geschichte des Sozialismus und ihre politisch-ideologische Grundlage von Stalin trennt, ist keine marxistisch-leninistische Partei.

Eine Reorganisation der kommunistischen Bewegung, ein erfolgreicher Aufbau einer geeinten marxistisch-leninistischen Partei in Deutschland oder wo auch immer in der Welt, die Überwindung der konterrevolutionären Phase der Restauration des Kapitalismus, der erneute Sturz der kapitalistischen Verhält- nisse und der Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft - dies alles ist unmöglich ohne einen ständigen und kompromißlosen Kampf gegen den Revisio- nismus in all seinen Spielarten. Der Kampf gegen den Antistalinismus ist damit untrennbar und unverzichtbar verbunden und von besonderer Bedeutung, weil der Antistalinismus die ideologische Speerspitze des Antikommunismus ist.

Es ist in der Tat höchste Zeit, das Schweigen und Schwanken in den eigenen Reihen zu beenden, aber auch den geschichtlichen Müll aus den Köpfen zu kehren, den die langjährige Lügenpropaganda über Stalin und über den sowjetischen Sozialismus unter Stalins politischer Führung hinterlassen hat.
Es ist übrigens auch Zeit, über andere Personen zu sprechen. So tut sich zwischen Chruschtschow und Gorbatschow eine Art "historisches Loch" auf. Kaum jemand scheint sich für das Wirken und die Verantwortlichkeiten von Breschnew zu interessieren. Er trägt schließlich die politische Verantwortung als Führer der KPdSU dafür, daß die letzten Chancen auf eine Rückkehr zu den Prinzipien des Marxismus-Leninismus untergraben wurden. Breschnew war übrigens auch maß- geblich am Sturz von Walter Ulbricht beteiligt, nachdem er im Zusammenwirken mit seinen Gefolgsleuten in der DDR jahrelang die Wirtschaftspolitik Walter Ulbrichts sabotiert hatte.
Wie kommt es, daß noch immer etliche Kommunisten nicht über den Verteidiger der Revolution Stalin reden können oder wollen, ohne sich zugleich für ihn zu entschuldigen, und zugleich dem Revisionisten Breschnew, der nichts weniger als den weiteren Niedergang der UdSSR zu verantworten hat und so der offenen Konterrevolution den Boden bereitete, mit Nachsicht begegnen? Wenn der Verteidiger der Revolution Stalin angeblich ein "Verbrecher" war, was war dann einer, der den Weg für Gorbatschow und Jelzin ebnete, die die Revolution in den Untergang führten - mit all den verheerenden Folgen?

Ein wenig mehr Mut bei der Verteidigung unserer eigenen Sache und nicht zuletzt das sich vertraut machen mit den historischen Tatsachen und Wahrheiten, soviel muß man sich als Kommunist abverlangen können. Ja, man wird uns dann wieder beschimpfen als “unbelehrbare Stalinisten”. Aber ist dieser “Schimpf” nicht ehrenvoller als die Schmach des Lobes des Klassenfeindes für jene, die sich von Stalin abwendeten?
Mögen jene nach solch vergifteten Lob heischen, die so ehrlos waren, als “Sozialisten” ausgerechnet auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin eine Stele zum Gedenken an “die Opfer des Stalinismus” zu errichten. Wir als Kommunisten sehen uns in der Verantwortung, unsere Weltanschauung und unser historisches Erbe zu verteidigen und fortzuführen. Dazu gehört die Würdigung jener Persönlichkeiten, die unsere Weltanschauung begründeten wie Karl Marx und Friedrich Engels, die sie in der sozialistischen Praxis verwirklichten und weiter entwickelten wie Wladimir I. Lenin und Josef W. Stalin, die wie Ernst Thälmann die KPD zur marxistisch-leninistischen Partei formten oder wie Walter Ulbricht, unter dessen Führung die DDR zu einem erfolgreichen, aufblühenden sozialistischen Staat wurde.

Um all die Lügen, die Hetze, die im Namen des Antistalinismus gegen den Sozialismus und die Kommunisten von den Revisionisten und Imperialisten, die darin eine reaktionäre Einheit bilden, zu entlarven, ist noch viel Arbeit und Überzeugungskraft nötig. Jahrzehntelange revisionistische Verwerfungen in der kommunistischen Bewegung und nicht zuletzt die damit verbundene Niederlage des Sozialismus durch die Konterrevolution 1989/90 haben einen enormen Schaden angerichtet. Aber darf man sich deshalb als Kommunist vor einer solchen Aufgabe fürchten oder ängstlich vor der antistalinistischen Propaganda zurückweichen? Nein, das darf man nicht. “In einer schlechten Sache hat man keinen Mut”, um mit Shakespeare einen Klassiker der Literatur zu zitieren, da aber unsere Sache gut und gerecht ist, müssen wir auch den Mut haben, sie unter allen Umständen und gegenüber jedermann zu verteidigen.

Uwe Langer